Wie kann es sein, dass die Zürcher trotz besten Voraussetzungen in den letzten acht Jahren nur noch einen Titel gewonnen haben und schon wieder in Bedrängnis geraten sind?
Den ZSC Lions geht es in dieser Saison so gut wie noch nie. Endlich haben sie eine Heimat gefunden, die ihnen gehört. Die im Herbst eröffnete Swiss Life Arena ist eine Trutzburg des Sport-Kapitalismus. Ein Versailles des Hockeys. Wahrscheinlich das beste Hockey-Stadion Europas.
Den ZSC Lions mangelt es auch im sportlichen Bereich an nichts. Sie haben als Unterbau die beste Nachwuchsorganisation des Landes plus ein funktionierendes Farmteam. Soeben haben sie die höchste Junioren-Liga gewonnen. Die Mittel für Transfers oder personelle Veränderungen stehen jederzeit zur Verfügung. Und doch stehen die Zürcher im Playoff-Halbfinal gegen Biel nur noch eine Niederlage vor dem Saisonende.
Ende Dezember ist der Trainer ausgewechselt worden. Marc Crawford für Rikard Grönborg. Aber der Trainerwechsel hat eigentlich bei keinem Spieler eine in Toren und Assists messbare Steigerung bewirkt. An dieser fehlenden offensiven Feuerkraft drohen die Zürcher gegen Biel zu scheitern.
Natürlich wird Denis Malgin vermisst, der sein Glück nun in der NHL sucht. Letzte Saison war er der charismatische Dynamo des Offensivspiels und der beste Skorer des Teams in der Qualifikation und den Playoffs. Aber seine Absenz kann nicht die Antwort sein. Das offensive Glück einer Mannschaft, die in allen vier Linien und drei Verteidigerpaaren Ausländer oder Nationalspieler einsetzen kann, darf nicht von einem einzigen Spieler abhängig sein.
Gross wäre das Geschrei ob der berechenbaren Spielweise, wenn nach wie vor der schwedische Systemtrainer Rikard Grönborg an der Bande stehen würde. Sportchef Sven Leuenberger hätte es dann ein wenig einfacher: Der Sündenbock wäre im Falle eines Falles der Trainer. Aber am neuen Chef an der Bande kann und darf es nicht liegen. Er hat einen Vertrag bis zum Ende der übernächsten Saison. Bis 2025. Die ZSC Lions haben offensichtlich nicht ein Trainerproblem.
Vielleicht liegt die Erklärung für die Sorgen der ZSC Lions gerade darin, dass es ihnen so gut geht wie noch nie. Wenn alles rund ums Team funktioniert, wenn die Infrastruktur nahezu perfekt ist, wenn jeder ein Musterprofi ist, dann dürfte der höchste Grad an Professionalität erreicht sein. Aber führen beste äussere Bedingungen und Wohlverhalten der Spieler automatisch zu maximaler Leistung? Im Eishockey nicht in jedem Fall.
Die Nordamerikaner beschwören aus gutem Grund die Romantik und bezeichnen Eishockey als letzten wahren Mannschaftsport. Der dem Klub nahestehende und wohlgesinnte «Tagesanzeiger» hat es nach der dritten Niederlage gegen Biel so auf den Punkt gebracht: «Die Seeländer treten auf wie eine eingespielte Mannschaft, derweil man bei den Zürchern das Gefühl hat, sie wären eben erst zusammengekommen und müssten sich erst noch kennenlernen.»
Ganz offensichtlich gibt es bei den ZSC Lions keine stark entwickelte «Team-Romantik», die über die professionelle tägliche Arbeit hinausgeht.
Die nordamerikanische National Hockey League (NHL) liefert Beispiele dafür, wie auch perfekt organisierte, hochprofessionelle und traditionsreiche Hockeyunternehmen sportlich stehen bleiben: Die Toronto Maple Leafs warten seit 1967 auf ihren nächsten Stanley Cup. Die New York Rangers haben seit 1940 einen einzigen Stanley Cup geholt (1994). Die Rangers sind mit 2,2 Milliarden das wertvollste Hockey-Team der Welt, die Maple Leafs mit 2,0 Milliarden das zweitwertvollste und das profitabelste, mit regelmässigen Ertragsüberschüssen von über 100 Millionen. Viel Geld, zu wenig Geist.
Die ZSC Lions als New York Rangers oder Toronto Maple Leafs unseres Hockeys? Ein wenig schon. Erst recht im neuen Stadion. Es geht um die verlorene Romantik in Zeiten der Perfektion und Professionalität. Gerade im Eishockey ist es oft diese Romantik, die Teams weit über sich hinauswachsen lässt. Das gilt auch für die ZSC Lions.
Die bis heute besten Jahre mit drei Finals und zwei Titeln (1999 bis 2002) sind noch geprägt vom Schwung, vom Groove oder eben der aufregenden Romantik der Gründerjahre: Die ZSC Lions sind erst 1997 aus dem Zusammengehen mit GC entstanden. Mit weitreichenden Folgen: Die jahrzehntelangen sportlichen Existenzkämpfe und die Schuldenwirtschaft sind nun beendet. Die Stadt Zürich wird dank der ZSC Lions eine der ersten Adressen im nationalen Hockey.
2006 wühlt eine sportliche Krise (zum zweiten Mal die Playoffs verpasst) die ZSC Lions auf. Die Reaktion auf diese ersten sportlichen Schwierigkeiten bringt die Mannschaft erst an die nationale Spitze (Meister 2008) und schliesslich auf den europäischen Gipfel (Gewinn der Champions League 2009).
2012 und 2018 stürmen die Zürcher nach sportlichen Irrungen und Wirrungen während einer dramatischen Qualifikation vom 7. Platz aus zur Meisterschaft. Dabei gelingt 2012 im Final unter Bob Hartley gar die Wende nach einem 1:3-Rückstand gegen den SC Bern und der finale Triumph im 7. Spiel in Bern. Und den Erfolg der letzten Saison (ein Sieg fehlte gegen Zug für den Titel) haben Schelme auf boshafte Art und Weise einer besonders romantischen Motivation zugeschrieben: Die Spieler seien zusammengerückt (aber nicht mehr im letzten Spiel), weil so ziemlich jeder gegen den Trainer gewesen sei.
Vereint gegen den Trainer zum sportlichen Höhenflug: Auch das wäre – wenn es denn so gewesen sein sollte – Hockey-Romantik.
Nur einmal ist bei den ZSC Lions eigentlich alles normal, ja perfekt gelaufen. So wie es theoretisch sein sollte. So wie es den beinahe unbegrenzten Möglichkeiten dieses Hockey-Unternehmens entspricht: 2014 haben die ZSC Lions mit Marc Crawford die Qualifikation mit 20 Punkten Vorsprung und die Meisterschaft gewonnen.
Nun ist Marc Crawford wieder da. In einer bis dahin trotz Trainerwechsel weitgehend undramatischen Saison ohne Romantik. Die Debatte, ob der Kanadier tatsächlich der Herzens- und Wunschtrainer von Sportchef Sven Leuenberger oder eher die Wahl von übergeordneten Instanzen ist, wird vielleicht noch zu führen sein.
«It’s not over before the fat lady sings»: Die ZSC Lions haben die finale vierte Niederlage gegen Biel noch nicht erlitten. Die letzte Hoffnung: Vielleicht sorgt das drohende schmähliche Scheitern doch noch für eine «So-aber-jetzt-erst-recht»-Romantik.
Die sportlichen Mittel für eine Wende – ein paar Spieler plus einen Trainer und einen Sportchef, die Meister können, haben die Zürcher ja.
Naja... das offensive Glück unserer Nationalspieler ist auch an der WM immer von ein paar wenigen abhängig. Evtl. sind ein paar unserer Nationalspieler einfach überbewertet...?